Welche Bedürfnisse erfüllt deine Essstörung? – Essstörungen verstehen

Essstörungen sind oft eine verzweifelte Flucht vor tiefer liegenden seelischen Problemen. Oftmals versuchen sie verdrängte Emotionen und Bedürfnisse zu ersetzen und verschaffen damit kurzzeitig ein positives Gefühl. Das ist vergleichbar mit einer Drogensucht – Jemand nimmt eine Droge, erfährt dabei ein angenehmes Gefühl, dieses lässt jedoch mit der Wirkung der Droge nach, es wird wieder zu der Droge genommen, doch mit der Zeit gewöhnt sich der Körper an die Droge (Habituation). Der Drogenkonsum nimmt schließlich zu, damit eine ähnlich starke Wirkung erzeigt werden kann. Kommt dir das vielleicht bekannt vor? “Noch zwei Kilo, dann höre ich auf”, “wenn ich gestern nur xyz Kalorien gegessen habe, schaffe ich heute noch weniger” – Dann komm, und lerne Essstörungen verstehen, das wird dir auch auf deiner eigenen Genesungsreise helfen.

Gesundheit ist nicht ein Leben ohne psychische Probleme und Krankheiten, sondern vielmehr, dass Menschen damit möglichst gut umgehen und leben können.

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Essstörungen verstehen - welche Faktoren tragen zur Entstehung bei?

Essstörungen haben nicht DIE EINE Ursache. Es spielen immer mehrere Faktoren in die Entstehung und Aufrechthaltung von Essstörungen rein. Denn nicht jeder, der einem Bestimmten Ereignis ausgesetzt ist (bspw. Trennung der Eltern) entwickelt automatisch eine Essstörung. Ursachen zu erkunden, ist meistens jedoch wichtig, um eine nachhaltige Heilung ermöglichen zu können. Denn mit “normal Essen” ist es noch nicht getan.

  • biologische Faktoren: Es besteht in der Literatur mittlerweile Konsens darüber, dass bestimmte biologische Einflussfaktoren zu der Entwicklung von Essstörungen beitragen können. Hierzu gehören unter anderem genetische Faktoren ebenso wie Veränderungen im Bereich der Hormone oder Botenstoffe. Auch Alter, Geschlecht und vorliegendes Über- oder Untergewicht, können eine Rolle spielen. 
  • soziokulturelle Faktoren: Die Tendenz eine Essstörung zu entwickeln kann von dem extrem schlanken Schönheitsideal, das in den sozialen Medien, Zeitschriften, der Werbung, sowie Casting-Shows gezeigt wird, verstärkt werden. Auch Kommentare von Angehörigen oder Peers über Gewicht/Essen/… können zu einem stetigen Vergleich und einer Unzufriedenheit mit sich selbst führen. Indem wir uns tagtäglich (oftmals mehrere Stunden am Tag) den perfekten (eher perfekt bearbeiteten) Personen auf den sozialen Medien Plattformen aussetzen, entsteht der Wunsch, selbst perfekt zu sein.
  • Familiäre Faktoren: Das kann ganz unterschiedlich sein. Sowie Vernachlässigung, emotionaler Missbrauch, als auch Überbehütung und enorme Kontrolle können Essstörungen begünstigen. Häufig spielt auch die Fähigkeit der Eltern mit Konflikten umzugehen eine bedeutsame Rolle, bspw. wenn Konflikte generell vermieden werden oder auch zu heftig ausgetragen werden. Für junge Mädchen ist es oftmals auch prägend, wenn die Mutter als Vorbild, negativ über ihren eigenen Körper spricht oder Diäten macht.
  • Individuelle Faktoren: Auch bestimmte Persönlichkeitsmerkmale werden mit Essstörungen in Verbindung gebracht. Beispielsweise Perfektionismus und ein hoher Leistungsanspruch an sich selbst, Ehrgeiz sowie Harmoniebedürftigkeit, Neurotizismus, Abhängigkeit und Introversion. Des Weiteren begünstigen Traumata und Mobbing die Entwicklung von Essstörungen.

„Wenn du dich beim Essen schuldig fühlst, wenn du hungrig bist, ist das wie wenn deine Lunge Sauerstoff braucht. Es wurde uns buchstäblich beigebracht, uns zu schämen oder unsere grundlegenden menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Weigere dich, die Schande zu spüren. Du darfst essen. “

Was sind eigentlich Bedürfnisse?

In der Psychologie werden Bedürfnisse  definiert als ein Mangelzustand oder ein Erleben eines Mangels, was mit dem Wunsch verbunden ist, diesen Mangel aufzuheben. Bedürfnisse sind also Wünsche, einen tatsächlichen oder subjektiv empfundenen Mangel auszugleichen. Ein einfaches Beispiel ist Wasser: Das Bedürfnis etwas zu trinken wird durch einen trockenen Mund ausgelöst. Wir wollen trinken, damit unser Mund sich nicht mehr trocken anfühlt und unser Wasserhaushalt wieder aufgefüllt ist. Bedürfnisse werden auch oft als das angesehen, was uns zu Handlungen antreibt – sie haben also einen Motivationscharakter.

Was für Bedürfnisse es gibt, und welche deine Essstörung vielleicht versucht zu erfüllen, wirst du gleich lesen. Zunächst einmal möchte ich dich dazu einladen, Bedürfnisse als Gefäße vorzustellen. Die Bedürfnisse sind erfüllt, wenn das Gefäß voll ist. Doch ihre Füllhöhe kann im Tagesverlauf bzw. im Lebensverlauf schwanken, woraufhin wir auf mehr oder weniger effektive Strategien zurückgreifen, um diese Bedürfnisse wieder aufzufüllen. Es geht jetzt also erst einmal darum, einen Blick darauf zu werfen, wie hoch gefüllt deine einzelnen Bedürfnisgefäße sind und welche mehr Aufmerksamkeit brauchen.

Lerne die Bedürfnispyramide kennen

Das wohl bekannteste Modell zu Bedürfnissen dürfte die Bedürfnispyramide nach Maslow sein. Er stellte Bedürfnisse in einer fünf stufigen hierarchischen Pyramide dar. Die ersten vier Ebenen sind Defizitbedürfnisse (physiologische, Sicherheits-, soziale und Individualbedürfnisse), während die oberste Ebene (Selbstverwirklichung) der Bedürfnispyramide als Wachstumsbedürfnis betrachtet wird. Die Bedürfnisse der unteren Ebene der Bedürfnispyramide müssen erfüllt werden, bevor die Bedürfnisse höherer Ordnung das Verhalten beeinflussen können. 

Essstörungen verstehen - Bedürfnispyramide Maslow mit Erläuterung zu den einzelnen Stufen

Na? – wie voll sind deine Gefäße auf den einzelnen Stufen? Du musst das Modell nicht ganz so streng wie Maslow sehen. Vielleicht findest du, dass deine sozialen Bedürfnisse ausreichend erfüllt sind, allerdings sehnst du dich nach mehr Gesundheit, Sicherheit und Ordnung.

Journal Prompts um dich deinen Bedürfnissen anzunähern

Anstatt das nächste Mal einfach deinen essgestörten Gedanken nachzugehen und deiner Essstörung glauben, was sie dir sagt – halte einen Moment inne und frage dich:

  • Wie fühle ich mich gerade? Welche Gedanken sind präsent?
  • Welche “negativen” Ereignisse haben in den letzten Tagen stattgefunden? Was macht sie zu “negativen” Ereignissen?
  • Worüber mache ich mir in letzter Zeit öfters Sorgen?
  • Was wünschtest du, würden andere über dich wissen?
  • Mit welcher Person würdest du dich gerne mal wieder treffen? Was hält dich davor zurück, dich bei der Person zu melden? 
  • Was wollte ich schon immer mal machen? Aber nie umgesetzt?
  • Wie ordentlich/sortiert ist meine Umgebung aktuell? Wann hast du das letzte Mal geduscht?
  • Wann habe ich das letzte Mal das Haus verlassen und mich unter die Menschenmengen gemischt?
  • Wie kann ich meine Bedürfnisse stillen, ohne auf selbstverletzende/ selbstzerstörende Strategien zurückzugreifen?

Wir können uns auf Verteidigung, Sicherheit oder Angst ausrichten. Auf der anderen Seite gibt es die Option des Wachstums. Wählen Sie Wachstum statt Angst zwölf Mal am Tag, bedeutet zwölf Mal am Tag in Richtung Selbstverwirklichung

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