mein Essstörungs Recovery-Account auf Instagram

Recovery-Account über Essstörungen auf sozialen Medien. Ein Segen? Oder doch eher ein Fluch? Schlussendlich muss das, glaube ich, jeder für sich selbst entscheiden. Ich habe beinahe drei Jahren über meine Reise in den sozialen Medien gepostet und aus erster Hand die Kraft des Teilens und der Verbindung mit anderen zu diesem Thema erlebt. Trotzdem möchte ich heute reflektiert und hoffentlich auch inspirierend über dieses Thema sprechen. Vorab: Ich bereue es nicht, in den sozialen Medien auf dieses Thema aufmerksam gemacht zu haben und stehe zu jeden Post, den du noch immer von mir auf meinem Instagram Recovery-Account unter doristrendfood finden kannst.

Wenn du das Gefühl hast, dass du dir mehr Sorgen und Gedanken rund um deinen Körper, das Essen oder deine Sportroutine machst, als es dir gut tut, dann suche dir bitte professionelle Hilfe. Frühe Interventionen können dazu führen, dass deine Heilungschancen besser sind und du es tatsächlich schaffen wirst, langfristig wieder frei zu essen, dich intuitiv zu bewegen und soziale Interaktionen genießen zu können. Denn all das ist keine Selbstverständlichkeit. Studien konnten zeigen, dass lediglich 50% der Patienten die Essstörung gänzlich hinter sich zu lassen*. Also bitte warte nicht, bis es noch schlimmer wird, du noch ein paar Kilo mehr abgenommen hast, oder du endlich so krank wie andere (Recovery-Accounts) bist.

darum geht es hier

die Risiken von Essstörungs Recovery-Accounts auf Social Media

Fangen wir mit dem kontroversesten Thema an. Auch wenn ich selbst einige Posts zu dem Thema “Essstörungen” auf Social Media gepostet habe, gibt es einige Punkte für mich, warum ich das Thema durchaus auch kritisch betrachte und mich schlussendlich nun als ehemalig Betroffene auch mehr und mehr von dem Thema distanzieren möchte.

Aber erstmal zu dir: Was denkst du, wo begrenzen dich Recovery-Accounts in deiner Heilung? Gibt es Inhalte, die dir schon einmal mehr geschadet, als tatsächlich geholfen haben? Wie oft konsumierst du Inhalte zu diesem Thema/ wie oft Inhalte zu anderen Themen?

Ich hatte für mich selbst einige “Regeln” aufgestellt, was ich auf Social Media hochlade und was nicht. Beispielsweise findest du keine “body checks”, Bilder aus meiner schwersten Zeit oder “Vorher/Nachher” Bilder von mir auf meiner Seite. Ich habe auch nie offen darüber gesprochen, welche Verhaltensweisen genau ich an den Tag gelegt habe und vor jedem Posting habe ich mich gefragt, ob der Beitrag triggernde Inhalte zeigt. Ist mir das immer gelungen? Vermutlich nicht.

Aus eigener Erfahrung bin ich davon überzeugt, dass sich eine Essstörung auch an solchen “Recovery” Accounts ernähren kann und man weiter in das Rabbit Hole gezogen wird, ohne es vielleicht bewusst zu bemerken.

Recovery Accounts auf Social Media - eher Segen oder doch mehr Fluch?

down the rabbit hole durch Social Media

basierend auf der Studie Harriger et al., the dangers of the rabbit hole, 2022

Der Algorithmus macht es dir schwer, dich von der Essstörung zu lösen

Schon frühere Studien konnten zeigen, dass die Nutzung sozialer Medien mit einer höheren Körper-Unzufriedenheit verbunden sein kann. Der Einsatz von Algorithmen verschärft diese Beziehung jedoch immens, indem er den Nutzern personalisierten Inhalt bietet, der oft weniger überwacht, extremer und darauf ausgelegt ist, den Nutzer für längere Zeiträume zu engagieren. Und dabei gibt es keine Regelungen und keinen Verbraucherschutz. Der Algorithmus will nur eins: Dich so lange wie möglich auf der App halten, Klicks generieren und Informationen über deinen Gemütszustand zu gewinnen. Wenn du also bereits eine gewisse Vulnerabilität für ein bestimmtes Thema aufweist (bspw. Essstörungen oder Depressionen), dann schaust du dir diese Inhalte vielleicht ein paar Millisekunden länger an als andere Inhalte, sodass der Algorithmus dir dann noch mehr davon vorschlägt, was einen ziemlich schnell das Rabbit Hole runterziehen kann.

Beispielsweise ist selbst der Discovery-Feed auf meinem privaten Account immer noch ständig von Diät- und essgestörtem Content gespickt, obwohl ich schon seit über einem Jahr intuitiv esse und keinerlei Recovery Accounts folge. Warum selbst ich noch diese triggernden Inhalte auf meinem Feed sehe? Weil auch ich eine Vulnerabilität für dieses Thema mitbringe und vermutlich auch mein Leben lang haben werde – was mich in meinem Leben nicht mehr einschränkt, aber es liegt in meiner Verantwortung, diese Vulnerabilität nicht zu nähren, sodass erneut eine Essstörung ausbricht. Doch vielleicht kriegst du den Punkt jetzt: Der Algorithmus kann es einem nahezu unmöglich machen, sich von dem Thema Essstörungen zu lösen. Und sich davon zu lösen ist nicht nur nach, sondern auch während der Recovery unglaublich wichtig.

Die Chancen von Recovery-Accounts

Der Umgang mit der noch immer populären Diätkultur, einschließlich der Moralisierung von Lebensmitteln, der kontinuierlichen Förderung des schlanken Ideals, des Gesundheitswahns und der Gleichsetzung von Gewicht mit Gesundheit, kann eine Herausforderung sein, insbesondere für diejenigen von uns, die von der Werbung für Diäten besonders verletzlich sind. Wir benötigen also angemessene Unterstützung bei Essstörungen, um die Genesung aufrechtzuerhalten. Essstörungs-Instagram-Accounts können dabei tatsächlich eine wichtige Rolle spielen.

Ein Tipp an dich hier ist allerdings, dass du nicht Recovery Accounts folgst, die lediglich auf einer persönlichen Erfahrungsgeschichte basieren, sondern Accounts, die von TherapeutInnen, DiätassistentInnen oder ErnährungswissenschaftlerInnen geführt werden. Warum? Weil du hier wirklich hilfreiche Tipps zu deiner Recovery bekommst, in der Regel keine essgestörten full day of eatings oder Körperbilder zur Schau gestellt werden. Natürlich ist es schön zu sehen, dass man aktuell nicht alleine in seiner Genesungsreise steckt, aber wenn diese Personen schneller oder langsamer zunehmen oder recovern, wird das mit Sicherheit in dir unnötigen Stress auslösen und davon hast du aktuell vermutlich schon genug. Tu dir also selbst einen Gefallen und folge, wenn dann, ausschließlich Personen, die tatsächlich wissenschaftlich fundiertes Wissen über dieses Thema aufweisen können. 

Ein Appell an Essstörungs Recovery-Accounts

Wenn du einen Recovery-Account hast, dann habe ich hier eine Bitte an dich: Bitte gehe mit deiner Verantwortung, die mit der Entscheidung, öffentlich Inhalte auf Social Media zu teilen, miteinhergeht, nicht achtlos um. 

Es gibt Personen, die sehr verletzlich für bestimmte Inhalte sind, und gegebenfalls durch deine Inhalte noch weiter in die Essstörung gezogen werden könnten, weil sie denken, sie seien noch nicht dünn oder krank genug. Frage dich bitte selbst, ob das eine Verantwortung ist, die du tragen kannst. Es ist gleichzeitig aber auch nicht deine Aufgabe, allen dabei zu helfen, aus der Essstörung rauszukommen.

Und dann möchte ich dir auch meine Erfahrung mitteilen: Bereits während meiner Recovery musste ich immer wieder feststellen, dass mich der Account zurückgehalten hat. Ich wollte nicht zu schnell, nicht zu langsam zunehmen, habe ich teilweise schlecht gefühlt, weil mir Dinge in der Recovery leichter gefallen sind, als anderen und diese dafür aber mehr likes usw. bekommen haben. Die Fixierung auf Zahlen ist bei Betroffenen von Essstörungen wohl meistens sehr ausgeprägt.

Instagram Essstörungs Recovery-Accounts / eating disorder recovery account on social media

Und vor allem, was ich in den letzten Monaten beobachten durfte, ist, dass ich mich länger mit der Rolle als “Essgestörte” identifiziere, als es mir gut tut. Es war eine schöne Zeit (zumindest meistens) während meiner Social Media Präsenz und an einigen Stellen, hat der Account mich auch davor bewahrt, in weniger hilfreiche Verhaltensweisen abzurutschen, aber vielleicht ist es einfach Zeit endgültig loszulassen. Und genau das wünsche ich auch für dich. Dass du dich dazu entscheiden kannst, das Thema endgültig hinter dir zu lassen, aus dem Nest der Recovery-Community zu hüpfen und die Flügel auszubreiten. 

Da draußen wartet noch so viel mehr als die Bubble der Diäten, Essstörungen und Fitness-Szene. Und Social Media zu löschen war für mich der erste Schritt in diese weite, aufregende aber auch unberechenbare Welt.

Essstörungs Recovery-Account auf Social Media

Quellen

  • Allen, K. L., Mountford, V. A., Elwyn, R., Flynn, M., Fursland, A., Obeid, N., Partida, G., Richards, K., Schmidt, U., Serpell, L., Silverstein, S. & Wade, T. D. (2022). A framework for conceptualising early intervention for eating disorders. European Eating Disorders Review, 31(2), 320–334. https://doi.org/10.1002/erv.2959
  • Harriger, J. A., Evans, J., Thompson, J. D. & Tylka, T. L. (2022). The dangers of the rabbit hole: Reflections on social media as a portal into a distorted world of edited bodies and eating disorder risk and the role of algorithms. Body Image, 41, 292–297. https://doi.org/10.1016/j.bodyim.2022.03.007

 

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